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2005_STEREO "KLASSIKER": VERNISSAGE KRAFT 100

STEREO "KLASSIKER": VERNISSAGE KRAFT 100

STEREO "KLASSIKER": VERNISSAGE KRAFT 100 "Bilder einer Austellung"
Symphonic Line: Mono-Endverstärker Vernissage Kraft 100
STEREO "KLASSIKER": VERNISSAGE KRAFT 100 "Bilder einer Austellung"

Vernissage Kraft 100, deutsche Rein Class-A-Endstufe, gebaut von 1981-84, rund 70 Stück als Stereo- und maximal fünf Paar als Mono-Endstufen. Die Firma Vernissage präsentierte im Frühjahr 1981 mit der Endstufe Kraft 100 die deutsche Antwort auf die amerikanische ML-2 von Mark Levinson. Sie sollte die bestklingende und stärkste Class A-Endstufe der Welt sein.
von Tom Frantzen

Was für ein Hammer von Endstufe! Es muss Sommer oder Herbst 1981 gewesen sein. Der lange Fußmarsch aus der Aachener Altstadt ins Ostviertel hatte sich jedenfalls gelohnt. Die drei hifibegeisterten Teenager, darunter der Autor, kosteten seinerzeit die Händlerschaft der Kaiserstadt zweifellos Nerven, kamen dafür aber stets in den Genuss der allerbesten Vorführungen.

Und es sollte sich für die Händler künftig auch noch lohnen - und die schienen das zu ahnen. Bei RAE, gleichzeitig der deutsche Vernissage-Vertrieb, spielte ein brandneuer Endverstärker deutscher Provenienz. „Vernissage" - auf deutsch „Ausstellung". Nie gehört. Aber was dieses mit mächtigen Kühlrippen und altdeutschem Schriftzug versehene Schlachtschiff aus einem Pärchen - wenn ich mich recht erinnere - Infinity RS 2.5 an Musik hervorzauberte, prägte jeden der drei Jugendlichen nachhaltig.

Einer wurde Musiker, der Zweite hat die größte mir bekannte Tonträgersammlung, der Dritte testet heute HiFi-Komponenten. Noch Fragen? Die Vernissage Kraft 100, eine fast einen Zentner schwere und zu dieser Zeit knapp 8000 Mark teure Endstufe, hatte bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir kamen nun häufiger in dieses Studio, zumal niemand sonst in der Stadt, in der - mit löblicher Ausnahme vom Klangpunkt im Uni-Viertel - heute Media Markt und Saturn mit faszinationsloser Geizgeilheit herrschen, eine solch überlegene Demonstration hinbekam.

Direktschnitte von Jeton und Sheffield mit „Single Speaker Demonstration" in einem großzügigen Wohnraum und Zeit satt. Das audiophile Paradies! Dass die Infinity zudem extrem schwierig zu betreiben war, erfuhr ich erst viel später. Die Vernissage ließ das nicht spüren, sie hatte das Impedanz-Biest am kurzen Zügel und prügelte härteste Bassimpulse aus ihm heraus wie sie ihm die zartesten und farbigsten je gehörten Frauenstimmen entlocken konnte. Das Unternehmen Vernissage war da bereits über zwei Jahre alt, entstanden in einem Eiscafe, wo sich Alleininhaber Rolf Gemein mit zwei Mitstreitern traf und den Plan ausheckte, die erste deutsche und zugleich die weltbeste Super-Endstufe zu bauen. Und Milbewerber gab es damals etwa mit Mark Levinson, Krell, Threshold und den diversen Unternehmungen des James Bongiorno reichlich. Es war die Blütezeit des High End, als eine gute Anlage mehr als alles andere - abgesehen vielleicht vom Mercedes vor der Tür - das Statussymbol schlechthin darstellte.

Im Frühjahr 1981 war es dann schließlich soweit. Das Ziel, den Angstgegner, die amerikanische ML-2, bis heute international eine Legende, sowohl klanglich als auch an Leistung in reinem Class-A-Betrieb zu übertrumpfen, schien gelungen.
Rolf Gemein hatte frühzeitig erkannt, dass ein Schlüssel zu erstklassiger Klangqualität im Ruhestrom einer Endstufe zu finden war. Denn dass ein Verstärker seidiger und feiner klingt und die Kontrolle über einen Lautsprecher zunimmt, wenn der Ruhestrom erhöht wird, ist wohl eine anerkannte Tatsache. Bewiesen übrigens durch Pioneers kleine M-22 sowie jene ML-2, die nochmals besser klang als die erheblich kräftigere B-Variante ML-3 (siehe STEREO).
Die Gegenseite der Medaille ist die Effizienz, denn gegenüber Gegentakt-Class B-Verstärkern wächst der Energiebedarf, während die Verlustwärme extrem ansteigt und die Leistung ebenso deutlich abfällt. Dem steuerte man bei Vernissage durch das ungeheuer aufwändige Gehäuse ebenso entgegen wie durch die Überdimensionierung aller wesentlichen Bauelemente. Zwei, sprich kanalgetrennte Ringkerntrafos mit zusammen 1200 VA, flaschengroße Siebelkos und eine Armada hoch selektierter Leistungstransistoren standen Gewehr bei Fuß, um sich der Musiksignale des Vorverstärkers würdig anzunehmen. Die damals schon für eine Bandbreite bis zu ultraschnellen 1,5 Megahertz „gute" Schaltung wurde schließlich bewusst auf rund 130 Kilohertz gedrosselt, um sie unter allen Bedingungen HF-resistent zu halten.

Wesentliche Schaltungsteile, vor allem die Treiberstufe, wurden vergossen, um Kopien zu erschweren. Die Hauptplatine fiel schon damals durch extreme Kompaktheit auf, was kurze Signalwege bedeutete und so ein Problem löste, das insbesondere sehr starke Endstufen mitunter sogar gegenüber ihren kleineren Geschwistern ins Hintertreffen bringt. Eine SL Kraft 250 (siehe Kasten oben) kennt dieses Problem übrigens auch nicht. Wen wundert's?

Pressespiegel Die deutsche Super-Endstufe erfreute die High Ender

Die Kraft 100 von Vernissage schaffte es sowohl auf den Titel von „HiFi Exklusiv" als auch von „Das Ohr", dem Kultmagazin des ehemaligen, leider früh verstorbenen HE/STEREO-Redakteurs und Verstärkerexperten Klaus Renner. In einem ausgiebigen Test fühlte man dem Boliden in HiFi Exklusiv 2/1982 auf den Zahn: „Überhaupt ist - nach Angabe des Herstellers - nirgendwo an Aufwand gespart worden, wenn man sich eine klangliche Verbesserung davon erhoffen konnte. Dies bezeugen die silbernen Eingangskabel, der Mu-Metallschirm der Ringkerntrafos, der eisenlose Gehäuseaufbau und nicht zuletzt die teuren Widerstandstypen. Alle Verstärkerstufen sind symmetrisch aufgebaut und einzeln gegengekoppelt. So konnte die Über-alles-Gegenkopplung gering gehalten werden.

Mit der Schaltung will man nach jahrelanger Entwicklung den Durchbruch zu vollkommen neuen klanglichen Maßstäben geschafft haben und hüllt sich über deren Details verständlicherweise in Schweigen. Vernissage betont, dass die Kraft 100 nicht nach rein messtechnischen Gesichtspunkten optimiert wurde."
Da seinerzeit aber noch sehr viel mehr Wert auf die Messtechnik als auf das Hörerlebnis gelegt wurde als heute, stellte man neben viel Lob, auch Schönheitsfehler fest, die Schwierigkeiten aufdeckten, mit der Kleinunternehmen zu kämpfen hatten: Die beiden getesteten Geräte waren nicht gleich. Eines lieferte Rauschwerte, das andere Klirrwerte, die zwar nicht dramatisch schlecht, aber nicht ganz standesgemäß waren. An Leistung wurden 116,3 Watt an 8 und 189 Watt an 4 Ohm gemessen, wobei die Endstufe trotz ihrer beachtlichen Größe mächtig warm wurde. Die Fans, die sich das Ergebnis anhörten, waren ausnahmslos begeistert.

Statt der betagten Vernissage- kommt neue, überlegene und maßgeschneiderte Symphonic Line-Elektronik in das schmucke, zunächst komplett ausgeräumte Gehäuse. Kostenpunkt: 6000 Euro. Infos unter Tel.: 0203/315656. Vernissage-Reparaturen werden nicht angeboten!